top of page

#queersundfarbigs

Aktualisiert: 14. Juli 2022

Johannes, dessen Namen ich geändert habe und dessen Geschichte ich (teilweise) hier beschreiben darf, schreibt mir folgendes Mail...


Lieber Bernhard,
irgendwie bin ich auf dich gestoßen und möchte dir von mir erzählen...
Ich bin heute 45 Jahre alt. Vor drei Jahren habe ich mich geoutet. Ja, ich bin schwul.
Das war für mich ein besonderer Tag, denn an diesem Tag ist für mich viel Verstecken - Spielen weggefallen. Jetzt bin ich ich und ich stehe zu mir. 
Das fällt mir grundsätzlich auch gar nicht schwer, denn ich darf ja jetzt leben und lieben - so wie ich bin.
Ich habe ein ganz neues Körpergefühl und meine Bedürfnisse werden einfach befriedigt. Irgendwie bin ich ganz.
Auch mein Umfeld hat mein Outing sehr positiv aufgenommen. Vor der Reaktion meiner Familie und meines Freundeskreises hatte ich schon Angst.
Komisch war es aber in der Firma. Obwohl mir alle gratulierten habe ich gespürt, wie ich von einigen in meinem Team nicht mehr zur Mitarbeit in Projekten eingeladen wurde... Das wird sich hoffentlich noch klären!

Was mich jedoch immer wieder irritiert, ist die Tatsache, dass ich immer noch die alte Angst in mir spüre. Gerade wenn ich in einer Gruppe bin. Da ist dann eine komische Angst in mir, wie früher. Da hatte ich Angst, dass mich jemand durch einen Kommentar oder falschen Blick outet. Das sehe ich heute schon etwas gelassener. Gerade Männern bin ich ja so gut es ging aus dem Weg gegangen.
Zurück zur Angst. Was kann ich da machen?

Ich stehe da, und alle Antennen in mir sind in Alarmbereitschaft. Wenn ich dann die Situation am Abend nochmals betrachte, finde ich mich selbst lächerlich, denn die Gruppe vertraut mir, die Menschen hören mir zu, sie mögen mich, sie schätzen meine Arbeit. Nur in mir. Da ist es laut.

Kann ich mich mal mit dir treffen? Ich brauche jemanden, dem ich einfach mal erzählen kann, was da so in mir drin los ist.
Und wenn dich mein Schreiben nervt, dann lassen wir es einfach...
Ich würde mich freuen. SG Johannes

Mich hat dieses Schreiben nicht genervt. Im Gegenteil: ich bin beeindruckt von Johannes´ Geschichte.


Alte Muster - Glaubenssätze

Wir treffen uns nun regelmäßig und stellen fest, wie so alte Muster oft ganz tief in uns, unserem Körpern und DenkKreisLäufen gespeichert sind. Diese Muster will Johannes für sich ändern.


SelbstAkzeptanz

Johannes lebte bis zu seinem 41. Lebensjahr ein Doppelleben. Innerlich wusste und spürte er, dass es ihn zu Männern hinzog. Er konnte/wollte/traute sich nicht, sein Inneres im Außen zu leben.


Im inneren Konflikt mit sich selbst

So erzeugte er ständig innere Konflikte. Er wandte sich von dem ab, zu dem es ihn hinzog. Bis er, wie er sagte, nicht mehr konnte. Sein Körper, sein Kopf, sein Gehirn, ... alles in ihm rebellierte. Er wusste, was er tun musste. Seine Glaubenssätze, dass "schwul, queer, gay, ..." nicht geht, waren tief in ihm verankert. Wie es dazu kommt?


Äußere Unachtsamkeit erzeugt innere Konflikte

Johannes erzählt mir, wie er sich als Kind und Jugendlicher schon zu Männern hingezogen fühlte und wie es ihm dabei erging:

... so ein Mann konnte mir schon den Kopf verdrehen. Ich spürte, wie sich unsere Blicke, unsere Herzen berührten. Das war ein schönes Gefühl, das ich für meine Träume und stillen Momente aufbewahrte.
... in so einem Moment klingelten tief in mir drin gleichzeitig die Alarmglocken! Das ist Sünde, ecklig, falsch, geht nicht, verkehrt, ...
... ich schämte mich, für mich.
... der Schmerz, das Hin- und HergerissenSein zwischen Liebe und NichtWissenWas wurde unausstehlich.

Woher kommen die alten Muster, die Scham?

Johannes erzählt mir im GehSpräch von seiner Kinder- und Jugendzeit. Er ist in einem Dorf aufgewachsen, in dem es zu seiner Zeit (offiziell) keine Männer gab, die offen schwul lebten. Zumindest kennt er bis heute keinen. In die Schule ging er in die nahegelegene Stadt. Dort war es aber für ihn auch nicht besser.

Nun zu den Mustern.


Was ist in Johannes passiert?

Schon als Junge wusste und spürte er seine Liebe und Sehnsucht nach der Liebe und Intimität zu einem Mann. Diese Sehnsucht wurde aber durch verschiedene Aussagen von erwachsenen Bezugspersonen verletzt:


Lehrerin beim Turnen: Jetzt spring vom 3 - Meter - Turm, oder bist du schwul? (Klasse lacht)
Pfarrer im Religionsunterricht: Menschen die schwul sind, sind Sünder. | Schwulen gehört der Teufel ausgetrieben. | Schwul ist krank.
Mutter: Schwul, das ist ecklig.
Mitschüler, die es vielleicht gar nie so meinten: du schwule Sau, Schwuchtel, ...
... diese Liste kann leider fortgesetzt werden.

Aussagen, können Kinderherzen verletzen

Johannes kann diese Aussagen heute differenzieren. Dennoch erinnert er sich immer wieder genau an diese Situationen. Es triggert ihn dann. Er erzählt mir dann wie er dastand, sprachlos. Am liebsten in den Boden versunken wäre. Und gleichzeitig ärgert er sich dann, weil er den Mut nicht hatte, zu sagen, dass er schwul sei.


SelbstAkzeptanz

Dieses schwere Wort.

Johannes hat seine Geschichte, sein Leben. Er erkennt, dass er sein Leben JETZT leben kann. Und das Vergangene. Es ist gewesen. Aber es schmerzt hin und wieder.


Das innere Kind

Gemeinsam suchen wir Wege und Ressourcen, wie er >seinem inneren Kind< in solchen Momenten der Angst, Trost spenden kann. Die Wunden pflegen. Irgendwann werden sie vernarben und nur noch gelegentlich spannen.


Bis dahin gehen wir, Schritt für Schritt. #proud. #fullofLove #queer


Du fühlst dich auch angesprochen? Ich berate und begleite dich gerne.


Und alle anderen! Schreibt in die Kommentare, wie es euch geht, wenn ihr die Geschichte von Johannes hört. Was wollt ihr in eurem Umfeld tun, damit sich Menschen akzeptiert fühlen, so wie sie sind.






Zeichnung: Andy Warhol

Foto: Bernhard Dünser

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page